Bootstour vom Samstag, den 31.7. bis Samstag, den 14.8.2004
Boot fahren ist: Auf unbequeme aber teure Art zu reisen.

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Sieben Tage nach Petras 60stem ging die Reise los. Es hatte Überredungskunst seitens Petra bedurft, bis ich einwilligte, eine vierzehntägige Bootsreise mit Freund Horst zu unternehmen. Die ganzen Vorbereitungen zu Petras Geburtstagsfeier hatten mich doch etwas geschafft. Ich fühlte mich einfach beschissen und sah wohl auch, so der engere Freundeskreis, ziemlich fertig aus. Wir wollten an die Berliner Gewässer. Diese Bootstour sollte schon vor einem Jahr stattfinden, aber wir bekamen das "ob überhaupt und wenn ja dann wann" nicht auf die Reihe. Ausgestattet wie für eine Atlantiküberquerung mit aufgefrischtem Wissen der Gesetzeskunde christlicher Seefahrt traf ich pünktlich Samstag morgen den 31.7.o4, kurz vor 7 Uhr bei Horst in Pöhlde ein.
Im Gepäck, aus meiner Akkordeonsammlung ein kleines altes, aber noch spielfähiges Akkordeon. Horst wollte eine Gitarre mitnehmen. Wir hatten ja vor vielen Jahrzehnten gemeinsam einige Zeit Tanzmusik in der "Pappschachtel" gemacht und die Gelegenheit zu musizieren würde sich sicherlich mal ergeben. Horst hatte aus seinem Segelboot ein Motorboot gemacht und es, wie er meint, vergewaltigt. Der über 7 Meter hohe Segelmast wurde durch einen kurzen Stummelmast ersetzt, auf dem als vorgeschriebenes Rundumlicht ein ausgedientes Senfglas, versehen mit einer 12 Volt Birne ruhte. Im Heckschacht hing ein 12 PS Bootsmotor. Die ganzen Vorbereitungen hatte Horst allein getroffen, das Boot war gewienert und poliert. Selbst die beiden Fender waren mit einer weißen Lackfarbe besprüht. ( Für Nichtwissende: Fender sind luftgefüllte Kunststoffhüllen, die das Boot, aber auch manchmal Anlegeplätze, schützen sollen)
Rita, die Frau von Horst, hatte die Bordküche bestückt und für mich sogar ein Zudeck mit eingepackt. Ich brauchte mich nur noch in das Auto setzen. Im Vorgespräch waren für diesen Aufwand mindestens 8 Tage Bootstour geplant. Dann kamen die Eheleute Monika und Joachim mit ihrem Boot dazu und aus 8 Tagen wurden "Wenn wir schon einmal da oben sind" mindestens 10, es könnten aber auch 14 Tage werden. Ich hatte die ganzen Vorbesprechungen geduldig über mich ergehen lassen. Ein umfunktioniertes Segelboot nur mit Motor zu fahren, war für mich völlig neu. Ich hatte mich bisher damit zufrieden gegeben, stundenlang an der Ruderpinne unseres Segelbootes zu hocken und mit derselbigen ansehliche körperliche Arbeit zu verrichten und Schoten und Fallen hin und her zu zerren. Alles sollte nun anders werden. Vielleicht würde es doch keine 14 Tage, die ganze Tour war ja wetterabhängig und von dem im Kalender erwähnten Sommer bisher nichts zu spüren gewesen. Fast kein Tag verging, an dem es nicht einmal regnete.

Die Fahrt ging in Richtung Berlin. Der befürchtete Stau auf der Autobahn blieb Gott sei Dank aus. Was ich mehr hasste als ständiges Betten machen und Gäste, die rücksichtslos eine Dreckspur hinter sich herziehend durch das Haus trampelten, mit unserem Eigentum umgingen, als wäre es abbruchreif, war im Stau stehen. Unsere Fahrt endete, nachdem wir den Ort auf der Suche nach der Hafenzufahrt einmal erfolglos durchquerten und der marode Straßenzustand alle Radlager und Stoßdämpfer einer Materialprüfung unterzog, nach 5 Stunden in der Hafenanlage Jahnufer 8 in Glindow, ein kleiner Ort, südwestlich von Potsdam. Man sollte diesen Ort mit seinen Straßen unter Denkmalschutz stellen.
Glindow wurde gewählt, weil wir die Fahrzeuge mit den Trailern für die geplanten 2 Wochen bei einem entfernten Verwandten von Monika und Joachim, der neben der Hafenanlage wohnte, eventuell kostengünstig abstellen konnten. (Wenn jeder Wessi nun so dachte wie wir, konnte sich der Osten auch nicht wirtschaftlich erholen).
Klaus, der Verwandte, wie sich später herausstellte ein sympathischer Mensch, wurde begrüßt und die Boote wurden zusammen mit dem Hafenmeister zu Wasser gebracht. Der gute Mann lief immer hektisch umher, wohl ständig in Angst lebte von dem Wessi, der die Hafenanlage gepachtet hatte, entlassen zu werden.
Wir wollten heute im Hafen bleiben, morgenfrüh sollte es losgehen. Die Fahrzeuge und Trailer waren untergebracht und für den heutigen Abend hatten wir uns bei den weitläufigen Verwandten eingeladen.
Wir rückten mit Getränken, Gitarre und Akkordeon an. Musik verbindet ja, baut Brücken. Das "Ost-West-Treffen" fand neben der Hafenanlage, direkt am See statt. Zu vorgerückter Stunde spendierte ich noch die Hälfte meiner als Marschverpflegung gedachten echten Eichsfelder-Mettwurst. Um die etwas auseinandergelaufene verwandtschaftliche Beziehung wieder zu vertiefen, begannen Horst und ich in der Abenddämmerung alle uns bekannten Lieder zu spielen, in denen auch nur einmal das Wort Wasser, Meer oder See vorkam. Bis eine der mindestens 20 Jahre alten Nylonsaiten der Gitarre riss. Eigentlich hatte die Saite erstaunlich lange durchgehalten. Als ich mir das Instrument vor dem Spielen besah, kamen mir schon Bedenken.
Ganz leicht angeheitert ging es dann nachts an Bord. Zum Schlafen wollte ich mich mit der "Hundskoje" zufrieden geben, einer längs zum Boot verlaufenden, ca. 80cm langen Sitzbank, die in ihrer Breite in der Verlängerung nochmals 90 cm in einer 45 cm hohen Öffnung verschwand. In der Länge standen mir nun 170cm zur Verfügung. Wenn ich die altersbedingte Schrumpfung von meinen einstigen 183 cm Körpergröße abziehe, so mussten hier noch immer ca. 180 cm untergebracht werden, die nun nachts versuchten, sich akrobatisch, äußerst konzentriert zu drehen. Meine Beine passten im leicht angewinkelten Zustand nicht durch die Höhe der Öffnung. Ich beschloss, mich damit abzufinden. Es war ja nicht für den Rest meines Lebens und früher die Galeerensklaven hatten bestimmt weniger Platz zum Schlafen.
Am anderen Morgen, nachdem die Schlafgelegenheit von Horst wieder die ursprüngliche Form von Tisch und Sitzbänken hatte und nach einem ausgiebigen Frühstück, ging die Reise los.
Das eintönige Brummen der Motore beider Boote wurde bald unterbrochen. Joachim meldete Schwierigkeiten mit seinem kleinen 2 Takter, der eigentlich aus Kostengründen die ganze Reise laufen sollte. Am Heck hing noch ein 60 PS Motor, der wegen seines hohen Benzinverbrauchs, 60 Liter auf 100 Kilometer, nicht eingesetzt werden sollte. Der Vormittag ging mit Fehlersuche drauf. Die Ursache, warum der Motor nur auf einem seiner beiden Pötte lief, konnte nicht gefunden werden. Die Fahrt ging mit dem 60 PS Motor weiter.
Nach dem Glindower-See ging die Fahrt durch den Schwielow-See in den Großen Zernen-See, die Havel und in die Vorderkappe, wo wir einen Hafenplatz nahe der Glienicker Brücke bekamen. Diese Brücke, die Berlin mit Potsdam verbindet und seit dem Ende des 2. Weltkrieges durch spektakuläre Austauschaktionen internationaler Agenten aus Ost und West zu DDR Zeiten bekannt geworden war, sahen wir uns bei dem abendlichen Spaziergang an. Diese gewaltige, die Havel überspannende Stahlkonstruktion, die 1907 in ihrer jetzigen Ausführung gebaut, durch unzählige Nieten, die glühend eingeschlagen vernietet zusammen gehalten wird, erst eine Holzbrücke, dann eine Steinbrücke ablöste.
Es wurde die zweite Nacht. Mein nächtlicher Kampf mit dem Umdrehen begann. Als ich fast eingeschlafen war, fragte Horst plötzlich, "riechst du es auch, es stinkt nach Benzin". In der Tat: Benzingeruch durchzog die Kajüte. Der Tank und die drei 10 Liter Kanister lagerten außerhalb der Kajüte in einer Bagkiste unter der Sitzbank. Horst hatte auch gleich eine Erklärung für die Ursache der Geruchsverbreitung. Beim Auffüllen des Tanks war wohl etwas Benzin daneben gelaufen und im geriffelten Endstück des Trichters war noch Restbenzin verblieben. Der Tank wurde abgewischt und der Deckel der Bagkiste aufgelassen. In der Kajüte konnte man wieder frische Seeluft atmen und jeder kämpfte sich in den Schlaf.

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Dieter bereitet sich auf den Arbeitseinsatz vor
(lauscht auf verdächtige Klopfgeräusche)

Nach dem Frühstück, Horst seine Schlafstelle wieder zu Tisch und Sitzbänke umgewandelt, machten wir uns auf den Weg, um neue Saiten für die Gitarre zu besorgen. Bei strahlendem Sonnenschein und zunehmender Hitze ging es in Richtung Potsdam-Zentrum. Nach endlosen Fragen und anderthalbstündige Suche hatten wir endlich in dem wohl einzigen Musikgeschäft in Potsdam einen Satz Saiten bekommen. Wieder am Boot angekommen war Mittagszeit. Der halbe Tag war wieder rum und wir waren noch keinen Meter gefahren.
An diesem Tag schafften wir es noch über den Tiefen-See, den Jungfern-See, ein Stück auf der Havel, den Großen Wannen-See und bis in die Scharfe Lanke. Wir bekamen im Yachthafen für die Nacht Liegeplätze zugewiesen und Schlüssel für die sanitären Anlagen. Die Kosten für einen Stegplatz wurden nach der Länge des Schiffes berechnet und hielten sich in Grenzen, schlossen auch die Stromabnahme mit ein. Unsere Arbeit nach dem Anlegen war immer erst das Stromkabel auslegen und das Batterieladegerät an die Batterie anschließen.
Die Batterie versorgte während der Fahrt eine transportable Kühlbox, wo der Propeller des Gebläses schon seltsame Zwischentöne von sich gab. Dieses Gerät, das schon über 10 Jahre auf dem Buckel hatte, führte einen fast aussichtlosen Kampf tagsüber gegen den Sommer, der pünktlich mit Reisebeginn endlich eintraf. Es schaffte es aber immerhin, dass die Margarine nicht mit dem Löffel, sondern mit dem Messer auf das Brot gebracht werden konnte.
Joachim gelang es später einmal, den Stecker mit dem roten Punkt nach oben in seine Kühlbox zu stecken. Aus der Kühlbox wurde ein Kochtopf. Der ganze Inhalt der Box konnte weggeschüttet werden.
An diesem Abend gaben wir, auf unserem Boot sitzend, ein kleines Hafenkonzert. Horst hatte die neuen Saiten aufgezogen.
Die dritte Nacht begann. Ich werde wach, beißender Benzingeruch in der Kajüte. Ich wecke Horst. Wenn das jede Nacht so weiter gehen sollte, wird unsere Lebenserwartungszeit noch mächtig schrumpfen. Wie in der vergangenen Nacht beginnt nun wieder die nächtliche Aktion des Suchens. Der Schnappverschluss am Tank ist undicht, der erst einmal provisorisch abgedichtet wird. Die Benzingase, die sich freigesetzt hatten, zogen aus dem Tankraum durch einige Fugen und Ritzen zu Füssen der Trennwand meiner zu kurzgeratenen Schlafstätte. Ich hatte die Bescherung gleich aus erster Hand gehabt. Noch in der Nacht ziehe ich mit meinem Zudeck um in die Bugspitze. Mit den Füssen liege ich nun ausgestreckt auf der geöffneten Klappe eines Stauraumes, in der die Enden zweier Paddel ragen, die sonst nicht in den Bugraum passen würden. Aber sicherlich alles eine Sache der Gewohnheit, unsere Reise fing ja erst an. An was ich mich nicht gewöhnen konnte war das geöffnete Bugfenster, die Bootsbelüftung. Wo nachts die Winde durch die Kajüte zogen und mir wie ein Lappen über das Gesicht strich.

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Freund Horst bei der Arbeit

Den Vormittag unseres dritten Reisetages verbrachten Horst und ich damit, zweimal einen Bootszubehörladen aufzusuchen und dann nur eine Schlauchschelle zu kaufen, ein Schnappverschluss in der gebrauchten Ausführung wurde seit Jahren nicht mehr hergestellt. Wir hatten wieder mindestens 10 Kilometer Fußmarsch hinter uns. Wenn das so weiter ging, würde aus unserer ursprünglich geplanten Bootsreise bald ein Wanderurlaub.
Unseren Benzinvorrat mussten wir nun ständig im "Auge" haben. Mit Kanister wurde in den nächsten Ort gezogen und eine der wenigen Autotankstellen aufgesucht. Nicht jeder Ort hatte eine Tankstelle.
Dass es um Berlin große Wasserflächen gibt, war mir bekannt, aber was sich mir hier auftat, damit hatte ich nicht gerechnet. In einen von uns auf die Bugspitze gestellten Liegestuhl, die Beine auf der Reling, lagen Horst oder ich, wer nicht gerade auf dem montierten Sitz im Heck saß, das Ruder in der Hand, den Blick mutig geradeaus, bewegungslos, alle Geisteskräfte aufs höchste angespannt, den Motor bediente und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen, betrachteten Gottes schöne Welt und freuten uns des Lebens. Die ganze Optik unseres Bootes, mit dem am Heck hängenden Einkaufskorb, hatte Außsteigermanier.
Weiter ging die Fahrt auf der Spree, mitten durch Berlin. Vorbei an altem Gemäuer und gesichtslosen Neubauten, hohen Betonwänden und an glasverspiegelten Regierungsgebäuden, in denen sicherlich kräftig daran gearbeitet wurde, wie noch mehr Steuergelder eingetrieben werden konnten. Die 4. Übernachtung hatten wir auf dem Rummelsburg-See in einer Hafenanlage in Friedrichshagen.
Nach dem Frühstück - es gab Cappuccino, Eier, Marmelade, Wurst, Käse, Horst aß wie immer sein Kinder-Nougat - ging die Fahrt weiter. "An der Banke" wollten wir Alex besuchen, eine kurze Bootsbekanntschaft, die Horst und Rita vor ca. 9 Jahren auf einem der Seen machten. Horst stellte sich die Frage, "ob der wohl noch lebt"?
Alex lebte noch und sah uns emöprt an, als wir mit unseren Booten an seinem Privatsteg festmachten. ---Dann kam die Erkenntnis. Wir verbrachten eine gemütliche Stunde und um alles abzurunden holten wir noch unsere Instrumente. Alex summte kräftig mit.
Ich erfuhr, Alex hatte sein Haus in Berlin zu DDR-Zeiten verkauft und das Anwesen hier am See erworben. Er besaß ein zusammengeschweißtes, in vielen Jahren selbst gebautes Motorboot. Das Material dazu wurde in der DDR-Zeit durch Tauschgeschäfte und Beziehungen beschafft. Das Boot sah zwar etwas unförmig aus, hielt sich aber tapfer über Wasser.
Alex beklagte, dass nach der Grenzöffnung alle nachbarlichen Beziehungen abgebrochen waren, jeder baute eine unsichtbare Mauer um sich. Auch wir hatten bei unseren "Hafenkonzerten", die wir bis jetzt abgehalten hatten festgestellt, dass sich kein Mensch auf seinem Boot sehen ließ, keiner mal klatschte oder mit einer Flasche ankam und sagte "Jungs, wollt ihr mal einen trinken?". So miserabel spielten wir doch nicht. Es fehlte nur noch, dass einer die Hunde auf uns hetzte.
Beim Abschied wurde uns noch gesagt, fahrt nicht gleich rechts, wenn ihr den See verlasst, es sind dort Untiefen die etwas dürftig markiert sind. Horst und ich hatten das getan, was wir auch zuhause machten. Wir hatten mal wieder nicht richtig zugehört. Wir saßen fest. Es ging weder vor noch zurück. Mit einer Schleppleine zog uns Joachim mit seinen 60 PS problemlos wieder frei.
Weiter ging unsere Fahrt auf dem Dämerits-See. Es war Mittagszeit, wir suchten uns eine Gaststätte mit Anlegeplatz.
Alex und seine Frau hatten sich riesig gefreut, wir versprachen, wenn einer von uns mal hier oben ist, wieder vorbei zu kommen. Alleine schon um zu erfahren, ob Alex das marode Wasserrohr, das seine Wasseruhr nun ständig in Bewegung hielt, gefunden hat. Das halbe Grundstück war schon nach der undichten Stelle umgewühlt. Aber so etwas schafft man nur nach einer Herzoperation und 5 Bypässe,die Alex erst kürzlich bekommen hatte.

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Dieter in Ruhestellung

An diesem Tag suchten wir frühzeitig einen Hafen für die Nacht auf. Horst kannte auch den Besitzer: Gerd, ein netter Mensch, der ist in Ordnung. -Meinte er-. Joachim borgte sich auf dem Gelände ein Fahrrad, hängte sich zwei Kanister um den Hals und holte von einer entfernten Tankstelle erst einmal Benzin. Horst hatte es leichter, er fuhr etwas später mit Gerd in einem nagelneuen Mercedes um Benzin zu holen.
Für den Abend hatten wir uns mit Gerd am See verabredet. Gerd brachte, um wohl nicht allein zu sein seinen Schwager mit, der erst einen leicht gelangweilten Eindruck machte. Wir bestellten eine Runde. Gerd betrieb auch Restauration. Zur Zeit war nichts viel los, die Bude wurde frühzeitig geschlossen.
Horst und ich machten Musik. Die Frau von dem Schwager kam auch noch und fand alles ganz toll. Wir waren mit Joachim und Monika 7 Personen. Gerd lenkte die Gespräche in seine Bahnen. Ja, er war ein toller Kerl, meinte etwas von Politik zu verstehen, wusste auch wie man dieses und jenes ändern konnte. Erzählte von Bekanntschaften mit hochgestellten Persönlichkeiten und erklärte uns in seiner unendlichen Klugheit, wie man Frauen aufreißt und dass er noch jede haben könnte. Gerd war weit über 70 Jahre, sexuell wohl etwas im Abseits der Normalität.
Man hätte ihn schon vor Jahren kastrieren sollen. Gerd schleppte, wenn er nicht gerade erzählte, eine Runde
Bier nach der anderen an. Die kleinen Kümmerling-Flaschen bildeten schon einen Halbkreis, als wir den Abend beendeten. Mit dem Gefühl, in den neuen Bundesländern endlich musikverständige Menschen getroffen zu haben, legte ich mich schlafen.
"Gerd ist in Ordnung" hat uns dann beim Abrechnen, wir wollten die Liegegebühr und die bestellte Runde bezahlen, alle Getränke mit auf die Rechnung gesetzt. Um Horst seinen "Netten Menschen" nicht zu verärgern, zahlten wir die 110, - Euro. "Und wer geduscht hat, von dem bekomme ich noch 2 EUR." Ich hatte die Dusche benutzt. Gerd seine Geschäfte liefen zur Zeit wohl doch nicht so gut.
Sein freundschaftliches Angebot, kommt doch auf dem Rückweg wieder hier vorbei, konnte er sich sonst wohin schieben. Gerd würde uns nicht wiedersehen. Möge er vom Blitz getroffen werden.

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Vor uns Achim und Monika auf ihrem Boot

Weiter ging die Fahrt über den Weddin-See, den Zeuthener-See, auf der Dahme entlang zum Krüpel-See. Es ist Mittagszeit. Ein weithin sichtbares Hinweisschild auf eine Restauration,versteckt im Wald, lässt uns vorsichtig einen Badestrand befahren und an Resten einer Uferbefestigung festmachen. Eine ziemlich heruntergekommene Holzbude erwartet uns. Die Bedienung war zugleich Köchin.
Angenehm überrascht waren wir über das Essen, das wir uns auf der Terrasse serviert ließen, weil wir uns nicht getrauten, das Haus zu betreten. Also, man soll nicht immer nur nach Äußerlichkeiten bewerten.
Weiter geht es auf der Dahme zum Dolgen-See. Es ist schon spät, wir müssen noch einen Anlegeplatz für die Nacht finden, wenn wir nicht in freier Wildnis übernachten wollten. Auf unserer Seekarte ist kein Jachthafen mehr verzeichnet. Wir hatten uns etwas verfahren, waren wieder umgekehrt und durften nahe Prieros, einem kleinen Ort, zwischen anderen Boote an einem Gaststättensteg für die Nacht festmachen. ( Navigieren ist eben, wenn man trotzdem ankommt.)
Bedingung war, dass wir am Abend noch etwas verzehren. In dieser Hinsicht würde es keine Schwierigkeiten geben. Ich bestellte mir ein Matjesgericht, die anderen Bratkartoffel mit Sülze.
Es wurde eine ruhige Nacht, keine aufgewühlte See, keine vorbei fahrende Boote machten aus unserer Schlafstätte eine Achterbahn.
Nach dem Frühstück kauften wir in Prieros noch schnell ein. Horst ging seiner Lieblingsbeschäftigung nach und versuchte einige Pfandflaschen los zu werden. Ich hoffte in dem Laden nun endlich mal Mückenschutz zum Einreiben zu finden. Beides klappte nicht. Ich würde weiterhin Horst sein Autan benutzen, die Mücken hatten mir in den ersten Nächten ganz schön zugesetzt.
Weiter ging die Fahrt durch den Langer-See, den Storkower Kanal, wo wir zweimal schleusen mussten, in den Großen Storkower-See. Nahe Bad Saarow, am Scharmützel-See, legen wir an. Wir beschlossen beim warmen Abendbrot auf der Außenbestuhlung einer Kneipe zwei Tage zu bleiben und erfuhren, nachdem die Wirtin uns ihre schlechte Geschäftslage geklagt hatte, von einem Fahrradverleih im Ort.

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redlich verdiente Pause

Am anderen Morgen suchten wir das " Hotel" auf, welches Räder verleihen sollte. Wir wollten eine Tagestour machen und die Cargolifter-Halle aufsuchen. Keines der angebotenen Räder war in Ordnung. An meinem baumelte das Stromkabel haltlos am Vorderrad, bei Horst seinem Fahrrad war am Hinterrad der Mantel aufgerissen, der Schlauch war sichtbar. Wir hatten den Fehler noch frühzeitig bemerkt. Nun musste noch ein Sattel in der Höhe verstellt werden. Die Hotelbesitzerin rief nach dem Hotelbesitzer, der nun missmutig im ärmellosen Unterhemd erschien und sich noch missmutiger an die Arbeit machte. Eigentlich eine Unverschämtheit von uns, den Sattel verstellt zuhaben.
Die 7 Euro pro Drahtesel sollten wir bei der Abgabe zahlen. Die Gefahr, dass wir mit diesen Rädern abhauten, schätzte der gute Mann begründet als sehr gering ein.
Wir wollten uns die riesige Cargolifter-Halle ansehen, die für eine neue Generation von Luftschiffen, die bis zu einem Gewicht von 160 Tonnen Güter transportieren sollten, gebaut wurde. Die ca. 20 Kilometer nach dem Ort Brand, "Brand" ist die altdeutsche Bezeichnung für "Heide", gingen durch für diesen Landstrich typische Kiefern-Wälder, die ihr Dasein im sandigen Boden der Märkischen Heide fristeten. Schon von weitem sah man die Halle mit den Membrandächern wie eine große, fette weiße Raupe, die etwas zu kurz geraten war, über alles sich hinweg hebend. Das Gigantische dieser Halle wurde erst bewusst, als wir direkt davor standen. Es ist die größte freitragende Halle der Welt. Mit einer Länge von 360m, einer Breite von210m und einer Höhe von 107m. Gebaut mit 14.500 t Stahl, 40.000 m3 Beton, 40.000m2 Membran und 11.000m2 Glas wurde die Halle 1998- 2000 auf dem Gelände des ehemaligen Militärflugplatzes bei Brand gebaut. Der Flugplatz diente in derEndphase des zweiten Weltkrieges zur Vorbereitung von Luftlandeoperationen und wurde 1945 von der sowjetischen Armee besetzt. Daraus wurde einer der größten Militärflughafer der DDR.
1998 erwarb die Cargolifter AG das Areal von der Brandenburgischen Bodengesellschaft. Diese Halle wurde ein abenteuerliches Projekt. Die Gesellschaft ging pleite. Das Land Brandenburg verlor Millionen der steuerlich gewährten Unterstützung. In der riesigen Halle entstanden nun eigene Wetter, es bildeten sich Gewitter. Es war in Planung, die Halle wieder abzureißen oder eine Klimaanlage installieren zu lassen.
2003 wurde das Projekt für ca. 20 Millionen Euro an ein Konsortium aus Malaysia verkauft, die 70 Millionen investieren, um einen tropischen Freizeitpark darin zu errichten. Ende 2004 soll die Anlage unter dem Namen "Tropical Islands" fertig sein.
Dieses und vieles mehr erfuhren wir bei Führungen von freundlichen Mitarbeitern des Service-Dienstes, nachdem Horst und ich zaghaft an der Kasse unseren Rentnerstatus, ohne Beweismaterial vorzulegen, erwähnten, 4,- Euro Eintritt gezahlt hatten. Hoffentlich hat die Betreibergesellschaft in Deutschland Marktforschung betrieben und die marode wirtschaftliche Schieflage mit einkalkuliert, damit das Ganze nicht auch wieder ein Flop wird.
Die Fahrräder haben diese Tour überstanden.

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kleine Pause auf dem ehemaligen Flughafengelände bei dem Ort "Brand"
Cargolifter-Halle, größte freitragende Halle der Welt

Allmählich machten wir uns wieder mit den Booten auf die Rückreise, hielten unsere Mittagspausen ein, ankerten nachmittags und tranken an Bord unseren Cappuccino und ich verscheuchte mit immer weniger Aufwand die Gedanken an die nun schwer arbeitende Petra.
Am Mittwoch den 11.8. , wir lagen im Yachthafen Scharfe Lanke, beschlossen Horst und ich, uns am Donnerstag Berlin anzusehen. Joachim und Monika wollten mit dem Boot weiterfahren. Mit dem Bus fuhren wir am Donnerstag nach Spandau. Beim Kauf der Tageskarte hatte es einen farbigen Fahrplan für die S-Bahn dazu gegeben. Die Bahn macht schon etwas für ihre Kunden. Nur, für uns hätte der Plan 3x so groß sein müssen. Erst eine schnell gekaufte Lesehilfe löste unser Problem. Wir hatten beide keine Brille mit. In überfüllte S-Bahnen ging es in das Zentrum Berlins.
Ich erlebte die Prachtstraße "Unter den Linden" mit vielen sehenswerten historischen Bauten. (Einst nur ein Weg, ließ Kurfürst Friederich Wilhelm 1647 ca.1000 Lindebäume pflanzen.)
Wir waren im Berliner Dom. Mir schienen die Räume mit den prunkvollen Särgen der Hohenzollern Familie wie eine Gruft. Trotz der vielen Menschen herrschte hier eine andachtsvolle Stille
Wir sahen den Reichstag. Das riesige Brandenburger Tor(diente ursprünglich einmal als Stadttor) mit der Quadriga.
Am Alexanderplatz hatte mich die Normalität wieder. Bei Fielmann bekam ich endlich die kleine Schraube, die mir schon seit einiger Zeit an meiner Sonnenbrille fehlte.
Für mich war es ein geschichtsträchtiger Tag.

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Horst und Dieter, ein Tag in Berlin

Am Freitag bei der Weiterfahrt auf dem Landwehr-Kanal brachte eines dieser großen Charterboote mit weniger als 6 PS, die ohne Führerschein gefahren werden konnten, es gab nur vor Antritt der Fahrt eine kurze Einweisung, Horst seinen Blutdruck in immense Höhe. Der Bootsführer, sicherlich ein Ausländer, musste wohl auf der Strasse nur Linksverkehr gewohnt sein. Aus einer Biegung heraus kam uns dieser Kasten, sich unaufhaltsam auf unserer Fahrseite haltend, entgegen. Eine kleine Ruderkorrektur zur richtigen Fahrseite wurde angedeutet, um dann wieder unser Boot als Zielobjekt, das Recht des Stärkeren folgend, anzunehmen. Uns blieb nur noch das "Manöver des letzten Augenblickes" durchzuführen. Wir mussten in dem engen Kanal auf die andere Fahrseite, uns blieb nur die Hoffnung, das der Bootsführer noch nicht die Seite in seinem Handbuch gefunden hatte, welche seine richtigen Fahrseiten beschreibt, um in plötzlicher Erkenntnis auch zu wechseln. Unausweichbar währe es zu einer Kollision gekommen. Horst seine geschrieene Frage, wo denn der Führerschein gemacht wurde, verhallte unbeantwortet.
Gegen Abend, nach einer kleinen Irrfahrt, trafen wir wieder in Glindow, den Ausgangspunkt unserer Reise, ein.
Wir hatten den Hafen erst auf einem anderen See gesucht. (Monika und Achim erzählten wir von dem Irrtum natürlich nichts. Braucht ja auch nicht jeder zu wissen.)

Am Samstagmorgen wurde das Schiff verladen und ohne Zwischenfälle erreichten wir gegen 15 Uhr wieder Pöhlde. Ein bisschen Seefahrerromantik war zu Ende.

(Ps. Erwähnen will ich auch nicht, dass Horst einmal beim Anlegen vor einer Schleuse ins Wasser gefallen ist und dass er in der Scharfen Lanke von einem seiner Meinung nach nicht Menschengerecht gebauten Bierhocker, von ihm einseitig belastet, zu Fall gebracht und der selbige ihm noch aufs Knie gefallen ist. Und Mückenschutz, lieber Horst, hatte ich selber mit. Dafür musste ich, wieder zu Hause, die Betitelung "Alter Dussel" von Petra hinnehmen. Männer hören einfach nie richtig zu.)

Ich hoffe, dass ich in der richtigen Reihenfolge geographisch alle wichtigen Punkte unserer Reise im nachhinein getroffen habe.

-------ENDE-------